Bericht von der BVV am 16. September 2020:

Keine Transparenz gegenüber Bürger*innen+++Eigentümerwechsel und Stillstand am Steglitzer Kreisel+++Nach 14 Jahren schwarz-grün erster Schritt zum Milieuschutz+++Lichterfelder Weidelandschaft weiterhin bedroht+++CDU-Werbeblock für die Bundeswehr+++Geistervilla Schmarjestraße 14+++

Die September-Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf fand seit Jahren erstmalig in einem Gebäude mit moderner Einrichtung und ohne sichtbare Baufälligkeiten statt. Vom Rathaus Zehlendorf war es nur ein Katzensprung über die Straße in die 1905 erbaute Pauluskirche (das Rathaus ist 24 Jahre jünger, hat die die vielen Jahre unter Verwaltung der CDU aber nicht gut überstanden).
Unter Einhaltung der Corona-Regeln war es seit Beginn der Pandemie theoretisch wieder allen Verordneten, Bürger*innen und der Presse möglich, an der Sitzung teilzunehmen. In den Monaten zuvor hatte sich unter anderem die Linksfraktion immer wieder für einen alternativen Tagungsort eingesetzt.

Der Abend begann passend mit einer Bürger*innenanfrage zu Möglichkeiten der digitalen Übertragung von BVV-Sitzungen. Der Antworttext der Bürgermeisterin zu diesem Thema ist seit Jahren identisch und wird auch deswegen immer peinlicher, weil andere Bezirksverordnetenversammlungen ihre Sitzungen übertragen oder zumindest nachträglich Audiomitschnitte veröffentlichen. Frau Richter-Kotowski verteidigte sich erneut damit, dass es für eine Videoübertragung in der Bezirksverordnetenversammlung keine Mehrheit gäbe, das Bezirksamt Bedenken bezüglich des Datenschutzes habe, Bürger*innen des Bezirkes doch einfach zu den Sitzungen kommen könnten oder aber später „barrierefrei“ die Protokolle auf der Homepage der Bezirksverordnetenversammlung nachlesen könnten. Dass diese Protokolle erst nach Wochen veröffentlicht werden und beispielsweise nicht das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ausweisen, sagte die Bürgermeisterin nicht. Dass die fehlende Mehrheit an CDU und Grünen scheitert auch nicht. Die Grünen in der BVV haben beim Thema Bürger*innenbeteiligung und Transparenz ohnehin schon lange keine Ambitionen mehr und so bleibt alles weiterhin weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zumindest so lange, wie die schwarz-grüne Zählgemeinschaft eine Mehrheit im Bezirk hat.

Bei den Kleinen Anfragen ging es unter anderem um die schleppende Planung von Radverkehrsanlagen (SPD, https://kurzelinks.de/4mfd) und eine Anfrage der Linksfraktion zum Steglitzer Kreisel. Bezüglich der Radverkehrsanlagen wurde deutlich, dass das Bezirksamt nicht in der Lage ist, qualifiziertes Personal langfristig zu binden. Momentan sind wieder Neueinstellungen notwendig. Die Stadträtin redete sich unter anderem mit dem von R2G auf Landesebene beschlossenen Mobilitätsgesetz heraus: Dieses habe viele (angeblich vorhandene) Planungen des Bezirksamtes obsolet gemacht. Außerdem sende der Senat nicht genug Geld in den Bezirk und es gäbe in Steglitz-Zehlendorf auch nur eine grüne Stadträtin (von insgesamt 5 Stadträt*innen). Das die allerdings zufällig für den Ausbau von Radwegen zuständig ist, fällt offensichtlich nicht weiter ins Gewicht. Auf die gezielte Frage der SPD, warum der Ausbau der Radinfrastruktur im Vergleich mit anderen Berliner Bezirken so schleppend verläuft, antwortete Frau Schellenberg: „Das wirkt nur so!“
Diese Aussage lässt sich schnell einem Faktencheck unterziehen! Schnappen Sie sich gerne ihr Fahrrad und überzeugen Sie sich selbst bei einer Tour durch den Bezirk. Wir verraten an dieser Stelle nur so viel: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen viele Schlaglöcher, Zick-Zack-Radwege, Baumwurzeln, schiefe Kantensteine und lebensgefährliche Hilfskonstruktionen. Vergessen Sie deswegen bitte nicht den Fahrradhelm!

Am Steglitzer Kreisel gibt es einen neuen Investor und seit Monaten keine neuen Baufortschritte (https://kurzelinks.de/p97a). Was genau vorliegt, konnte oder wollte die Bürgermeisterin nicht erzählen. Anstatt dem Protzmillionär und CDU-Großspender Christoph Gröner hat auf der Großbaustelle nun die „Consus Real Estate“ das Sagen. Die Baustelle sei trotz der ruhenden Arbeiten Tag und Nacht gesichert, ließ die Bürgermeisterin wissen. Der Baustopp habe allem Anschein nach mit dem Wechsel der Eigentumsverhältnisse zu tun, liege aber nicht in der Verantwortung des Bezirksamtes. Im weiteren Verlauf des Abends wurde noch beschlossen, dass das Bezirksamt sich bei „anstehenden Gesprächen über den Um- und Neubau des Sockelgeschosses mit Nachdruck für bezahlbaren Ersatzwohnraum für die dortigen Mieterinnen und Mieter im Bezirk“ einsetzen solle (https://kurzelinks.de/55av). Ein winziger Lichtblick, der natürlich auch mit Leben gefüllt werden muss. Ansonsten muss beobachtet werden, ob der nächste Skandal über dem Steglitzer Kreisel aufzieht.

Beschlossen wurde mit Stimmen der Linksfraktion u. a. unser Antrag, die Tischtennisplatten am S-Bahnhof Lichterfelde West zu reparieren (https://kurzelinks.de/mdi1), die Rückbenennung des Paulinenplatzes (ttps://kurzehlinks.de/uhjz), die Ausweitung der Marktflächen am Kranoldplatz (https://kurzelinks.de/ft3t ) sowie die kulturelle Nutzung des „Kraftwerks Steglitz“ in der Birkbuschstraße (https://kurzelinks.de/zt0z).

Nach den Kleinen Anfragen stand ein Dringlichkeitsantrag der Linksfraktion auf der Tagesordnung. In der Berliner Straße 1-3 kann für mindestens 11 weitere Jahre nicht - wie geplant - das bestehende Gebäude abgerissen und ersetzt werden. Eine Mieterin mit langfristig gültigem Zeitmietvertrag besteht auf Erfüllung der Vereinbarung mit dem Besitzer.
Wir erkennen darin eine Chance: Wenn nun schnell Gespräche mit dem Besitzer aufgenommen werden, könnte vielleicht eine Zwischennutzung vereinbart werden. Es wäre der perfekte Ort als Drehscheibe für Büros des Bezirksamtes während des Rathausneubaus in Zehlendorf. Auch eine zentrale Kältehilfeeinrichtung, ein Begegnungscafé oder aber ein Angebot für Jugendliche ließe sich dort realisieren. Der Dringlichkeit wurde von der AfD-Fraktion widersprochen, die CDU-Fraktion enthielt sich. Wer braucht auch schon eine funktionierende Verwaltung in Steglitz-Zehlendorf und soziale Projekte – AfD und CDU offensichtlich nicht. Der Antrag wird nun in den Ausschüssen beraten.

Gleich vier Milieuschutzanträge wurden in der BVV-Sitzung im Paket verhandelt: Drei stammten aus der Feder von SPD- und Linksfraktion, der vierte Antrag war zwar mit CDU und Grünen unterschrieben, im Kern handelte es sich dabei aber um ein Plagiat des ersten Antrages von SPD und Linken. So wollte die Zählgemeinschaft sicherstellen, dass sie nach 14 Jahren Untätigkeit beim Mieter*innenschutz trotzdem reichlich blumiges Eigenlob über sich ausschütten konnte.

Während die Fraktion der Grünen sich neben dem Eigenlob auch als „Prügelknabe“ darstellte, der für seine Bemühungen um Mieter*innenschutz (es blieb offen, was genau damit gemeint war) nur Kritik von SPD und Linken erhalten würde, machte die CDU in Gestalt des Fraktionsvorsitzenden Torsten Hippe keine Anstalten, ein gutes Wort am Milieuschutz zu lassen. Das Instrument sei Quatsch, Zeit- und Geldverschwendung und überhaupt werde man dem gemeinsamen Antrag mit den Grünen nur zustimmen, weil es dazu eine Vereinbarung gäbe. Man sei bei der CDU eben ein verlässlicher Partner, auch wenn die andere Seite unsinnige Dinge wolle.

Es war dann Aufgabe von SPD und LINKE, die Geschichte der schwarz-grünen Zählgemeinschaft zu beleuchten und aufzuzeigen, dass man 14 Jahre mutwillig die Mieter*innen im Bezirk alleine gelassen und der Gentrifizierung nur zugeschaut hat. Volker Semler von der SPD-Fraktion sagte, dass der Milieuschutz derart zu spät komme, dass man ihn mit dem Ruf nach der Feuerwehr vergleichen könne, nachdem das Haus bereits abgebrannt sei.

Als Partei des Kapitals polemisierte die AfD-Fraktion im weiteren Verlauf ebenfalls gegen den Milieuschutz und erntete dafür – wie an mehreren Stellen des Abends – den hörbaren und sichtbaren Applaus des CDU-Fraktionsführers Torsten Hippe. Auch die FDP blieb selbstverständlich auf der Seite der Vermieter und Börsenkonzerne und lehnte alle Milieuschutzanträge des Abends ab. Angenommen wurde dann letztendlich der Antrag von CDU und Grünen, der eigentlich von SPD und LINKE war. Er erhielt die Zustimmung aller vier genannten Parteien. Es zeigte sich einmal mehr: Am Wohle der Mieter*innen ausgerichtete Politik liefern momentan in Steglitz-Zehlendorf nur die beiden Oppositionsfraktionen von SPD und LINKE.

Die vier Anträge:

https://kurzelinks.de/tl8w

https://kurzelinks.de/tlhh

https://kurzelinks.de/mzf6

https://kurzelinks.de/mnfp

Die Lichterfelder Weidelandschaft verbleibt aufgrund der Stimmen von CDU, Grünen, AfD und FDP weiterhin bedingungslos bei der Groth-Gruppe. Klaus Groth, der CDU-Mitglied und Großspender der Partei ist, hat bereits gesagt, dass ein „Bauernjunge (interessantes Selbstbild des Multimillionärs!) niemals ein Stück fruchtbare Scholle aus der Hand gibt“. Er hat offensichtlich noch Pläne mit der Weidelandschaft. Zugleich ist die Investorenhörigkeit bei den genannten Fraktionen so groß, dass nicht einmal diese offene Drohung zum Schutz der Weidelandschaft Anlass bietet. Die Weidelandschaft wird nach jetzigen Planungen nur für 20 Jahre unter Schutz gestellt und vom BUND betreut. Ein tragfähiges Konzept liegt noch nicht vor. Was nach 20 Jahren passiert, wird sich zeigen. Die Grünen jedenfalls schauen mehr auf die Profitinteressen des Investors als auf den Umweltschutz. Sie ignorieren die Fakten und erzählen sich selbst und anderen, dass sie dauerhaft ein ökologisch hochwertiges Gebiet gesichert haben. Das allein der Bau von 2500 Wohneinheiten, einer Schule, Straßen und weiterer Infrastruktur nur mit massiver Umweltzerstörung einhergehen kann, das interessiert die Grünen nicht. In der Aussprache zum Antrag der SPD-Fraktion (https://kurzelinks.de/agub) musste sogar der „Letter of Intent“ als vermeintlicher Beleg für die Umweltschutzbestrebungen der Grünen herhalten. Dabei regelt dieses Papier die Gewinnerwartungen des Investors! Bei solchen Diskussionen wird schnell klar, warum CDU und Grüne keine Aufzeichnungen und keine Übertragungen der BVV-Sitzungen im Internet wünschen. Solchen Blödsinn erzählt man besser nur in kleiner Runde. Am Ende stimmten nur SPD- und Linksfraktion für den Schutz der Weidelandschaft. Die Forderung lautete, erst dann mit dem B-Planverfahren fortzufahren, wenn eine dauerhafte Sicherung der Weidelandschaft erreicht wurde. Die anderen vier Fraktionen lassen das „fruchtbare Stück Land“ lieber in der Hand des Baulöwen und Großspenders, der sich in der Öffentlichkeit gerne als Bauernjunge gibt.

Wie eingangs erwähnt, gab es mehrere Unterbrechungen der BVV-Sitzung, um den Raum gemäß der Corona-Richtlinien zu lüften. Da stellenweise viel heiße Luft produziert wurde, war das auch nötig. So gab es u. a. eine „Werbeunterbrechung“ von circa 20 Minuten. Die CDU-Fraktion überschlug sich mit Lobpreisungen (wie gesagt, die BVV fand in einer Kirche statt) der Bundeswehr. Mehrere Soldat*innen der Bundeswehr hatten im Gesundheitsamt bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen Coronainfizierter geholfen. Ein Deal, den die SPD-Senatsverwaltung eingefädelt hatte und der leider nur von zwei Bezirksämtern in Berlin rigoros abgelehnt wurde. Die Linksfraktion Steglitz-Zehlendorf und andere Linksfraktionen in Berlin verneinten die Frage nach der Notwendigkeit von Soldat*innen im öffentlichen Dienst - zumal ausreichend Zivilist*innen für diese Aufgabe bereitstehen. Die CDU hingegen versuchte die Bundeswehr als Friedensstifter und wichtige zivile Akteur zu präsentieren. Vom Technischen Hilfswerk und anderen Organisationen hat man bei der CDU allem Anschein nach noch nie gehört. Wie so oft bei schlechter Werbung – es blieb von der Dauerwerbesendung kaum etwas hängen. Am Ende wurde unser Antrag von allen anderen Fraktionen abgelehnt: https://kurzelinks.de/yz08

Der letzte Tagesordnungspunkt zur Villa Schmarjestraße wurde ebenfalls von der Linksfraktion eingebracht. Zur Erinnerung: Das Ehepaar Mehnert hatte dem Bezirksamt sein Haus vererbt und eine soziale Nachnutzung im Erbvertrag festgeschrieben. Das Bezirksamt ließ die Villa verfallen, versuchte sie dann zu Geld zu machen und erhielt dafür Anfang des Jahres eine einstweilige Verfügung des Kammergerichts Berlins, die den Verkauf untersagte. Die Linksfraktion fragte nach: „Was passiert in der Villa Schmarjestraße – sieht sich das Bezirksamt überhaupt in der Lage, jemals eine Lösung für die Skandalvilla herbeizuführen?“

Wir müssen den Abend an dieser Stelle nicht neu erzählen. Das Wesentliche hat Boris Buchholz in seinem Newsletter für Steglitz-Zehlendorf berichtet. Den Beitrag findet man hier: https://kurzelinks.de/r5a3
Aufhorchen ließ das dröhnende Schweigen der Bezirksbürgermeisterin auf die Nachfrage der Linksfraktion, ob Verkaufspläne des Bezirksamtes endgültig vom Tisch seien. Wie so oft, wenn die Bezirksbürgermeisterin in Bedrängnis gerät, eilte der Fraktionsvorsitzende Torsten Hippe zur Hilfe. Er sagte sinngemäß, dass man eventuell prüfen müsse, ob eine Bedingung von Erblassern, die nicht einzuhalten ist, überhaupt wirksam sei.

Damit endete die Sitzung und zurück blieb das Gefühl, dass – ähnlich wie beim Steglitzer Kreisel – auch bei der Villa Schmarjestraße die Skandalgeschichten noch nicht zu ende sein könnten.